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12/10. DER BLICK VON HIER
 
               

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Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge. -Novalis-

Boulevard Parabol freut sich, vom 10. – 12. Dezember eine Gruppenausstellung zu zeigen, die sich dem „künstlerischen Blick“ widmet. Von zentraler Bedeutung dafür sind Fragen, wie die KünstlerInnen Raum und Zeit erleben, was ihren Blick bestimmt und wie das Gesehene umgesetzt wird. Die Ausstellung versteht sich dabei als Gedankeninventar: Sie möchte aktuelle Schwerpunkte in den Arbeiten der zwölf KünstlerInnen zeigen und trifft dabei auf einige sich überschneidende Blickwinkel: Die Frage nach einem „Hier und Dort“, der Grenze zwischen Privatheit und öffentlichem Raum, zeigt sich par excellence in den Fotografien von Daniele Ansidei. Hier findet sich ein fast voyeuristischer Blick in die Glasfenster fremder Wohnhäuser wieder, Szenerien, die jedem von uns bekannt vorkommen. Was spielt sich im vermeintlich privaten Raum ab? Welche Szenen und Gegenstände kennzeichnen Privatheit? Einen Ort beleben, einen Raum rekonstruieren und ihn dadurch mit Mitteln der Fotografie neu erfinden, ist der Ausgangspunkt von Sophia Kestings Arbeit „Habitat“, die sich mit der Zwangsumsiedlung ihrer Familie 1961 auseinandersetzt. Die Diaprojektion stellt eine Reorganisation ihres Künstlerbuches „Habitat“ dar. Die Leere, die so manchen öffentlichen Raum kennzeichnet, der ursprünglich als städtebaulicher Treffpunkt geplant war, als solcher aber weder Wärme noch Privatheit zuläßt, ist ein Thema der Gemeinschaftsarbeit von Marcel Dickhage und Cathleen Schuster. Momentaufnahmen vieler kleiner Situationen der Alltäglichkeit begegnen uns in den Fotografien von Tobias Kruse, die sich sowohl im fühlbar privaten Umfeld als auch in einer teilweise einsam erscheinenden öffentlichen Umwelt abspielen. Die eigene Standortbestimmung und widersprüchliche Sichtweise auf Welt sind weitere Ansatzpunkte in den Arbeiten der beteiligten KünstlerInnen.

Die beiden Bilder Grit Hachmeisters entstammen dem Zyklus „Sklavinnen der Liebe“ und thematisieren widersprüchliche Empfindungen und Verhaltensweisen innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen. Benedikt Leonhardts Leinwände widerum zeigen weite Landschaften, die auf den ersten Blick flächig erscheinen und doch durch Furchen, Einkerbungen, Wege und die Trasse eines Skilifts durchschnitten werden. Im Zentrum des Bildraumes von Sebastian Nebe steht ein eckiges Holzhaus im schneebedeckten Wald, dessen Fenster, von Stoff verdeckt, keinen Blick in das Innere zulassen. Ein verlassener Ort? Als einzig vermeintliche Farbe glüht der Himmel rot im Hintergrund, so als würde eine ferne Stadt von Weitem leuchten. Einer ähnlichen Wald-Szenerie könnten die Bronzeobjekte von Claas Gutsche entstammen: Was aber passiert mit einem gegossenen Mäusenest, wenn es nicht auf dem Feld, sondern im Ausstellungsraum präsent ist? In den Collagen von Franziska Holstein zeigt sich die Entwicklung der Künstlerin zu immer stärker abstrakten und formalen Werken. Nicht das realistische oder bestimmbare Motiv, sondern die Farbe wird hier zu Material und Inhalt. Neben der Frage nach dem Zustand im Jetzt wirft die Ausstellung auch einen Blick auf Momente, Objekte und Kontexte der Vergangenheit: Pixelige, schwarz-weiße und später auch farbige Fotografien der Sächsischen Zeitung von 1950 bis 2010 fungieren als Rekonstruktionsmaterial für die Arbeit „13./14. Februar 1945“ von Luise Schröder, anhand derer die Bombardierung Dresdens als Teil des kollektiven Gedächtnisses und als Bildsprache des Mediums Zeitung analysiert wird. Mit einem ganz eigenen Verfahren zeichnerischer Erinnerungsrekonstruktion, die den einzelnen Frames eines Storyboards ähneln, nähert sich Alexander Schellow rückblickend den Orten und Situationen, die er selbst erlebt. In Verbindung mit akustischen Elementen zeigt er im Boulevard Parabol zwei Zeichnungen aus seinem aktuellen Bahnhallen-Projekt. Die drei Leinwände von Stephan Jäschke sind Teile einer, als übergreifendes Gesamtkunstwerk konzipierten Ansammlung zahlreicher Objekte und Bildarbeiten. Indem er permanent produziert, kommt den Einzelarbeiten ein Tagebuch-Charakter zu, mit dem der Künstler sich selbst einordnet sowie die Zeit nachvollzieht.

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Daniele Ansidei (Jahrgang 1979)
Studierte zunächst Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien, danach Experimenteller Film bei Prof. Karl Kels an der Universität der Künste Berlin und Kommunikationsdesign an der Freien Universität Bozen, Italien. Seit 2009 Fachklasse für Fotografie und Medien bei Prof. Heidi Specker, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. Ausstellungsbeteiligungen u. a. im Piccolo Museion Bozen, Ducal Palace Genua und im Rahmen der Manifesta 7 in Bozen, 2008. Er lebt und arbeitet in Berlin und Wien.

Marcel Dickhage und Cathleen Schuster (beide Jahrgang 1977)
Studierten beide Grafikdesign und Fotografie an der Hochschule Wismar; 2006 bis 2009 Studium der künstlerischen Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig bei Prof. Heidi Specker. Zusammenarbeit unter dem Namen Titre Provisoire. Cathleen Schuster erhielt 2010 das Karl Schmidt-Rotloff Stipendium. Gemeinsame Ausstellungbeteiligungen u. a. in der Wohnungsausstellung Berlin, The Forgotten Bar Berlin, Verein für Raum und Form in der bildenden Kunst Wien, Tapetenwerk Leipzig und beim Fotofrühling Kassel 2007. Marcel Dickhage und Cathleen Schuster leben und arbeiten in Berlin.

Claas Gutsche (Jahrgang 1982)
Studierte zunächst an der Burg Giebichenstein, Halle/ Saale, dann an der University of Brighton. 2007 bis 2009 Masterstudium in Fine Art Printmaking am Royal College of Art, London. Ausstellungen in London (u. a. Institute of Contemporary Arts, Royal Academy Summer Show, Emma Hill/Eagle Gallery), Berlin (Galerie Wagner + Partner, Maerzgalerie), Hamburg (Kunsthaus Hamburg) und Kunstraum Ortloff, Leipzig. 2010 erhielt er u. a. den Financial Times Fine Art Award. Seine Arbeiten befinden sich in öffentlichen Sammlungen, z. B. Royal College of Art Print Collection, Städtische Galerie Wolfsburg. Claas Gutsche lebt und arbeitet in Berlin.

Grit Hachmeister (Jahrgang 1979)
Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, 2005 Diplom bei Prof. Timm Rautert, von 2005 bis 2007 Meisterklasse Timm Rautert. Hachmeister erhielt u. a. den Marion-Ermer-Preis 2006 sowie den Kodak Nachwuchsförderpreis. 2009 war sie Stipendiatin der Deutschen Akademie Rom, Villa Massimo und Casa Baldi, Italien. Seit 2003 Zusammenarbeit mit Lysann Buschbeck und Kathrin Pohlmann als „VIP“. Hachmeisters Zeichnungen, Fotografien und Objektarbeiten waren u. a. im Folkwang Museum, Essen, der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin und der Columbus Art Foundation Ravensburg zu sehen; ebenso im Centra d’art Passerelle Brest, Stadtgalerie Wels und dem Centre de la Photographie, Genf. Seit November 2010 Beiträge für das Magazin ‚Die Streichelwurst‘. Grit Hachmeister lebt und arbeitet in Berlin.

Franziska Holstein (Jahrgang 1978)
Studium der Malerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, zunächst bei Prof. Arno Rink, anschließend Meisterklasse Prof. Neo Rauch. 2005 erhielt sie den Ars Lipsiensis Preis und 2009 ein Arbeitsstipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Ihre erste Einzelpräsentation hatte Franziska Holstein in der Galerie Christian Ehrentraut Berlin. Zudem waren ihre Arbeiten in zahlreichen Gruppenausstellungen vertreten, u. a. 2010 im Kunstverein Leipzig, Galerie der Künstler München, Black Door Istanbul, der Philara Sammlung zeitgenössischer Kunst, Düsseldorf und in der Ausstellung „Von Vorn. Meisterklasse Neo Rauch“ in Aschersleben. Franziska Holstein lebt und arbeitet in Leipzig.

Stephan Jäschke (Jahrgang 1985)
Studierte Bildhauerei bei Prof. Andrea Zaumseil an der Burg Giebichenstein, Halle/Saale; seit 2008 Studium Malerei/Grafik bei Prof. Astrid Klein an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. Seit 2009 ist er Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. 2010 wurden seine Arbeiten in einer Einzelausstellung im Westwerk Leipzig gezeigt. Ausstellungsbeteiligungen u. a. beim Kunstfestival Chemnitz, Kunstraum Ortloff Leipzig, universal cube/ Leipzig, Kunstverein Tiergarten/Berlin, EEG Galerie Leipzig und Benjamin Richard Galerie Leipzig. Stephan Jäschke lebt und arbeitet in Leipzig.

Sophia Kesting (Jahrgang 1983)
Zunächst Studium der Hispanistik, Französistik und Erziehungwissenschaft an der Universität Leipzig und Auslandsaufenthalt an der Sorbonne, Paris. 2006 bis 2010 Studium der Visuellen Kommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin. Seit 2010 Fachklasse für Fotografie und Medien bei Prof. Heidi Specker, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. Sie war freie Mitarbeiterin der Galerie Eigen + Art Berlin. 2006 bis 2009 Assistentin des Fotografen Uwe Walter, Berlin. Seit 2009 Tätigkeit als freiberufliche Fotografin. Ausstellungsbeteiligungen u. a. in der Galerie im Café Einstein Berlin, Kunstraum Boulevard Parabol Berlin und in der Benjamin Richard Galerie Leipzig. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Leipzig.

Tobias Kruse (Jahrgang 1979)
Studierte an der Ostkreuzschule für Fotografie bei Prof. Ute Mahler und bis 2009 in der Meisterklasse von Prof. Arno Fischer. 2010 gewann Kruse den 1. Preis des 4. Internationalen Fotofestivals F/STOP, Leipzig und 2008 den New York Photo Award in der Kategorie „Student Editorial Series“. Internationale Ausstellungsbeteiligungen, u. a. C/O Berlin, New York Photo Festival 2009, Fotofestival Hannover, Galerie Lipinska Warschau, Bethanien Berlin. Publikationen in diversen Zeitungen und Magazinen, u. a. Neon, Dummy, Die Zeit, Zeit Magazin. Tobias Kruse lebt und arbeitet in Berlin.

Benedikt Leonhardt (Jahrgang 1984)
Studierte zunächst Architektur an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, Leipzig. Seit 2007 Studium Malerei/Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. Seit 2009 Fachklasse für Bildende Kunst Prof. Astrid Klein. Er ist Stipendiat des Cusanuswerkes, Bonn. Ausstellungen u. a. im Cusanuswerk Freiburg, Ergo Gruppenausstellung im Kunstraum Ortloff Leipzig und 2010 im Rahmen des Spinnereirundgangs, Leipzig. Benedikt Leonhardt lebt und arbeitet in Leipzig. Sebastian Nebe (Jahrgang 1982) Von 2002 bis 2005 Studium der Grafik/Malerei bei Prof. Thomas Rug an der Hochschule für Kunst und Design, Halle/Saale; anschließend Bildende Kunst bei Prof. Astrid Klein an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. 2006 Auslandssemester an der Glasgow School of Art im Rahmen eines Auslandsstipendiums der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Seit 2009 Meisterschüler bei Prof. Astrid Klein. Seine Arbeiten wurden bisher in der Galerie Kleindienst Leipzig, ZINGERpresents Amsterdam, und ZINGER Tilburg in Einzelausstellungen gezeigt. Ausstellungsbeteiligungen u. a. Wagner und Partner Berlin, Vorstadt 14 Zug, Schweiz, Boulevard Parabol Berlin und Ortloff Leipzig, Nada Miami, Fiac 07 im Carrée du Louvre Paris. Sebastian Nebe lebt und arbeitet in Berlin.

Alexander Schellow (Jahrgang 1974)
Studium an der Universität der Künste, Berlin und der Glasgow School of Art. Schellow war Stipendiat der Akademie Schloss Solitude Stuttgart, erhielt das Max-Pechstein-Stipendium 2007 und ist aktuell Senior Fellow am Zukunftskolleg der Universität Konstanz. Internationale Ausstellungen, Screenings, ortsspezifische Projekte in Galerien, Museen, Biennalen u. a. Tirana International Contemporary Art Biennale, Albanien, 1st Thessaloniki Biennale of Contemporary Art, Centre Georges Pompidou Paris, Museion Bozen, Kunstmuseum Stuttgart, Galerie Ute Parduhn Düsseldorf, DeApple Artcenter Amsterdam. Seit 2007 auch Lehrtätigkeit an Universitäten und Postgraduate-Institutionen u. a. in Paris, London, Antwerpen. Alexander Schellow lebt und arbeitet in Berlin.

Luise Schröder (Jahrgang 1982)
Zunächst Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, seit 2004 Studium der Fotografie und Medienkunst (Heidi Specker, Günther Selichar) an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. Tätigkeit als Kunstvermittlerin in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig. Ihre Arbeiten waren in der Galerie Eigen + Art Berlin, der Royal Academy of Arts in Kopenhagen und der Galerie Kunstwerk in Potsdam ausgestellt. Einzelpräsentation waren u. a. im Europäisch-Bulgarischen Kulturzentrum Sofia, Bulgarien, der Brotfabrik in Berlin und dem Goethe Institut Frankfurt/Main zu sehen. 2009 erhielt Luise Schröder den Medienkunstförderpreis der BM.MEDIALE und 2004 den Deutschen Jugendfotopreis. Sie lebt und arbeitet in Leipzig.